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WGLi-Umschau | 4-2018 7
großen Areals zur westlichen Windrichtung – Schad- Personen. Nach der Fusion, die den Zugang zu der 1), 2), 3) Quelle: siehe Impressum
stoffe wurden in den östlichen und damit ländlichen preiswerteren Kohle in Oberschlesien sicherte, war
Stadtteil emittiert – brachte den Ausschlag für den wohl der wirtschaftliche Höhepunkt erreicht: „Zeit-
Grundstückserwerb. Denn die Herstellung der be- weise deckte der Betrieb 70 Prozent des europäischen
nötigten Kohlestäbe und -stifte war eine mehr als Elektrodenbedarfs“3). Der wirtschaftliche Erfolg las
schmutzige Angelegenheit. sich auch am Gewinnertrag ab: Noch 1937/38 erwirt-
schaftete die „Siemens Plania AG“ ihren Aktionären
Wie die Fabrikation ablief, lässt sich einer firmeneigenen rund 2,6 Millionen Reichsmark an Dividenden. Fragt
Schrift der „Gebrüder Siemens & Co.“ aus dem Jahr man jedoch nach den Arbeitsbedingungen der Fabrik-
1914 entnehmen, die im Archiv des Museums Lich- arbeiter, fasste in der Fabrik trotz der hohen physi-
tenberg einzusehen ist: Tonnen von Ruß wurden für schen Belastung nur langsam der arbeitsrechtliche
die Produktion von Kohlestiften vor Ort durch Ver- Gedanke Fuß: 1937/38 galt in der Lichtenberger
brennung hergestellt. Endprodukte waren nicht nur Fabrik eine Kündigungsfrist von mindestens einem,
die Kohlebrennstäbe für Lichtbogenlampen, sondern maximal sechs Tagen zum Ende des Monats (erst im
mit den Jahren zunehmend auch Spezialkohlen für Jahr 1969 wurde die 14-tägige Kündigungsfrist im
viele andere Bereiche der Elektrotechnik – darunter Bürgerlichen Gesetzbuch fest vorgeschrieben).
Bürsten für Dynamomaschinen, Mikrofonkohlen und
viele andere Geräte. Diese Kohleprodukte wurden in Der Zweite Weltkrieg stoppte diese freie wirtschaft-
einer eigenen Rußfabrik hergestellt, eine zusätzliche liche Entwicklung endgültig. Als „Spezialbetrieb des
chemische Fabrik stellte Metallsalze als Leuchtzusätze Oberkommandos der Wehrmacht“ widmete sich die
bei den sogenannten Effektkohlen her. Die Rohstoffe Produktion ausschließlich Rüstungszwecken. 1944
wurden vor Ort gereinigt, gemahlen, gemischt und mussten 1.039 Zwangsarbeiter und Kriegsgefange-
in hydraulischen Pressen mit einem Druck von bis zu ne die Produktion am Laufen halten. Noch im selben
600 Atmosphären zu einem fortwährenden Strang Jahr wurde die Fabrik durch Luftangriffe der Alliierten
verdichtet. Dieser Strang wurde geteilt und in einem schwer beschädigt. Nach Kriegsende wurden noch
Ofen gebrannt. Die Produktionsleistung der Fab- stehende Produktionsteile beschlagnahmt und teil-
rik war enorm: Die Ringofenanlage bestand aus 17 weise demontiert. Danach wurde die Produktion als
aneinandergereihten Öfen mit rund 600 Kammern. Sowjetische Aktiengesellschaft (SAG) aufgenommen.
Jährlich wurden hier über 15.000 Tonnen Kohlen ver- 1946 produzierte man noch vorrangig für den sow-
heizt, um die Kohlestäbe zu brennen. Nach dem Bren- jetischen Bedarf. Daneben fasste die Produktion von
nen gingen die Kohlestäbe als Halbfabrikate noch in alltäglichen Konsumgütern für die Berliner Bevölke-
Schleifräume, dann in die Dochterei. rung Fuß: In der Herzbergstraße entstanden nun auch
Kuchenbleche, Kartoffeldämpfer und Kohlenkästen.
Die Werke selbst konnten unter den damaligen Vor- 1953 wird das Werk – nunmehr von 400 Beschäf-
zeichen als modern gelten: Der gesamte Kraftbetrieb tigten 1946 auf rund 3.000 angewachsen – als SAG
war elektrifiziert und die Produktionshallen – noch im zurückgegeben und zum VEB Siemens-Plania und in
Jahrhundertwechsel keineswegs selbstverständlich – Folge in VEB Elektrokohle Lichtenberg umgewandelt.
elektrisch beleuchtet. Installiert waren 400 Lichtbo- Nur ein Jahr später – nämlich am 4. Juni 1954, grün-
genlampen und 3.000 Glühlampen. Den wirtschaft- dete sich die Arbeiterwohnungsgenossenschaft. Ein
lichen Höhepunkt erreichte die Produktion aber wohl Grundstein der Geschichte der WGLi. Und Grund zum
erst unter dem Firmenamen „Siemens Plania Werke Feiern: Im Juni begeht die Genossenschaft ihr 65-jäh-
AG“2). 1928 fusionierte das Unternehmen „Gebrüder riges Bestehen. Die Voraussetzungen dafür schuf die
Siemens & Co“, in dem die vorangegangene Firma Fabrikansiedlung vor 120 Jahren.
„Siemens & Halske“ aufging, mit der Rütgerswerke
AG im oberschlesischen Ratibor. Schon vor der Fusi- Autor: Karolina Wrobel, Dipl.-Kulturwissenschaftlerin
on stieg die Beschäftigtenzahl der Fabrik auf 1.584 Besonderer Dank gilt Dr. Dirk Moldt/ Archiv Museum Lichtenberg
Zwei Drittel des Geländes mit Fabrikhallen und Schornsteinen wird abgerissen. Die WGLi ist die größte Berliner
Seit der Wende ist das Produktionsvolumen von 200 auf 70 Mio. D-Mark Wohnungsgenossenschaft und
gesunken. Die Beschäftigtenzahl beträgt 1.650, davon arbeiten 1.000 kurz, zählt 10.645 Mitglieder sowie
550 davon wiederum als ABM. Es sind die ABM-Kräfte, die Teile ihrer 110 Bauten in Friedrichsfelde
Produktionsstätte selbst abreißen müssen. und Fennpfuhl.
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bis 1997: Privatisierung der Kernbereiche Großkohle Die Produktion elektrischer Kontakte ©adrian_ ilie825 / Fotolia
und Kleinkohle durch Kauf des deutschen Investors auf Kohle- und Graphitbasis wird von
SGL Carbon AG und des US-amerikanischen der PanTrac GmbH als Tochter der
Unternehmens UCAR International Inc. belgischen Gerken Group in Belgien
Die Großkohleproduktion wird eingestellt. fortgeführt. Sitz der Firma ist die
Vulkanstraße 13, 10367 Berlin.