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6 WGLi-Umschau | 3-2021
Schlimmer als der Klimawandel
Die öffentlichen Parks leiden vor allem an ihren Besuchern
Der Klimawandel bedroht seit Jahren die Stadtnatur. Dabei wird aktuell mehr Stadtgrün durch die
Besucher von Parks und öffentlichen Grünanlagen zerstört als durch die Folgen des Klimawandels.
Der Leiter des Umwelt- und Naturschutzamtes, Conrad Masius, ruft zu mehr Rücksicht auf.
Herr Masius, viele Menschen sind besorgt Wildnis, mehr insektenfreundliche Blühwiesen vor-
um die lokalen Folgen des Klimawandels. stellen. Hier haben sich die Vorstellungen gewandelt.
Wir beobachten die Entwicklung sehr genau. Die Pla- Denn noch vor zehn Jahren mussten es „gepflegte“
tane galt einst als unverwüstlicher Baum, der auch Grünflächen sein, geleitet wurde diese Vorstellung
mit Trockenperioden und städtischen Lebensräumen vom Ideal eines „englischen Rasens“. Die neue Ent-
gut klarkam. Mittlerweile kann dieser Baum der Fülle wicklung werte ich positiv, denn das bedeutet, dass
an Stressfaktoren kaum mehr standhalten: Bauliche biologische Vielfalt bei den Bürgern gut ankommt.
Verdichtung, Hunde-Urin und ein sich ausbreitender
©WGLi/Karolina Wrobel Pilzbefall sind die häufigsten Stressfaktoren. Andere Stadtgrün, das sind nicht nur die öffent-
flach wurzelnde Bäume, wie etwa Birken, pflanzen lichen Parks. Welche Rolle spielen grüne
Conrad Masius wir schon nicht mehr, da in Zukunft mit länger an- Innenhöfe in den Großsiedlungen?
dauernden Trockenperioden zu rechnen ist. Wir sind Eine sehr große Rolle – auch wenn sie privates Grün
800 Hektar aber insgesamt noch ein sehr grüner Bezirk. Unsere
Natur ist sehr vielfältig. Im Sommer hatten wir sogar sind. Sie müssen zusammen mit den öffentlichen
öffentliche Grünfläche das holländische Königshaus bei uns zu Gast und
gibt es in Lichtenberg konnten dem Königspaar den Landschaftspark Herz- Grünflächen vielen Anforderungen gerecht werden.
berge vorstellen. Die dortige urbane Landwirtschaft
ist eines unserer Vorzeigeprojekte. Trotzdem muss Sie sollen der Erholung, dem Spiel, dem Sport, aber
ich als Leiter des Natur- und Umweltschutzamtes
auch einige negative Dinge feststellen: Die wach- auch als Naturerlebnis dienen. Das alles unter einen
sende Stadt und der Erhalt der Grünflächen stehen
immer öfter miteinander in Konflikt. Hut zu bringen, ist nahezu unmöglich. Deshalb ist
Das Bezirksamt hat seine Bewohner on- es wichtig, dass es außerhalb dieser wohnortnahen
line zum Stadtgrün befragt – mit wel-
chem Ergebnis? Grünanlagen auch Naturschutz- und Landschafts-
Insgesamt nahmen 700 Personen an unserer
Umfrage teil. Ein erstes Ergebnis: schutzgebiete gibt.
Die Lichtenberger kön-
nen sich mehr Welche Bedeutung hat das
©C. Masius Stadtgrün in der Pandemie 280 t Müll
gewonnen?
Während der Lockdowns zog es mussten 2020 aus den
öffentlichen Grün-
die Menschen raus ins Grüne, anlagen Lichtenbergs
entfernt werden
das ist verständlich. Doch auch
allgemein hat die Nutzung der
Grünflächen stark zugenommen.
Nehmen Sie etwa den Fennpfuhlpark:
die Gärtner kommen hier fast gar nicht
mehr zum Gärtnern. Die Vermüllung ist wirklich ein
Problem. Wer eine solche Parkanlage nutzen will,
muss auch ein gewisses Naturverständnis mitbrin-
gen. Das fehlt offensichtlich. Der Klimawandel und
seine Auswirkungen kommen da noch hinzu. Auf all
diese Umstände müssen wir reagieren.
Wie kann diese Reaktion aussehen?
Wir müssen der Sehnsucht der Stadtbewohner nach
Naturerleben gerechter werden – mit „Naturerfah-
rungsräumen“. Diese möchten wir in den kommen-
den Jahren im Bezirk einrichten. Es sind begehbare,
eingezäunte Grünflächen. Hier kann man barfuß
über Rindenmulch, Kieselsteine oder Rasen lau-
fen. Hier können Kinder sicher im Dickicht spie-
len, auf Bäume klettern, an Wasserläufen mit
Matsch spielen. Sie sollen einen Gegenpol zu
den sonst urbanen Lebenswelten bieten.
Herr Masius, wir danken für das Gespräch.