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© Peter Herlitze

Ich pflege meine Toleranzintoleranz

November 2020

Plötzlich und unangekündigt trank meine Freundin Anja ihren Kaffee nur noch mit Sojamilch wegen einer Intoleranz, wie sie sagte. Melanie, mit der ich öfters frühstücke, verzichtete eines Tages auf Weizenbrötchen – wegen der vielen Kohlenhydrate. Und Evi, die Obst bisher in rauen Mengen verzehrte, ließ selbst ihre geliebten Weintrauben liegen – aus Angst vor einer Fettleber. Nun hatte der Zeitgeist also auch meinen Freundeskreis erreicht. Und ich hatte keine Ahnung, wie ich da mithalten konnte. Wie sollte ich Aufmerksamkeit und Interesse wecken, wenn ich nicht einmal abwehrend die Hände heben und wenigstens sagen konnte „Tut mir leid – aber ich habe eine Laktoseintoleranz.“ Sollte ich künftig auf Mitleid oder stille Bewunderung verzichten müssen? Keinesfalls, ich nahm mir vor, das alles noch zu toppen. Die Intoleranzen meiner Bekannten bezogen sich alle auf ein beschränktes Gebiet – also brauchte ich schon eine alles umfassende Unzulänglichkeit, etwas Globales, wie man heute sagt. Nach langem Suchen entschied ich mich für Paraskavedekatriaphobie, der Angst vor der Zahl 13. Hörte sich toll an – und vor allem konnte es sich keiner merken, um dann heimlich die Bedeutung nachzuschlagen. Seitdem hatte ich meine Ruhe, denn an dieses Leiden kam in meinem Bekanntenkreis niemand heran. Die eigenen Befindlichkeiten tauschte man von nun an nur noch aus, wenn ich nicht dabei war. Denn es gab viel zu erzählen, was mich wahrlich nicht interessierte – und das, obwohl ich ja eigentlich stets die Bestinformierte im Kiez sein wollte. So war ich zum Glück nicht bei den Diskussionen über die Bücher „Weizenwampe“ von William Davis und „Dumm wie Brot“ von David Perlmutter dabei, die Brot und andere Weizenprodukte zu den schädlichsten Nahrungsmitteln überhaupt deklarierten und behaupten, dass modernes Getreide das Gehirn zersetzt. Man belästigte mich auch nicht mehr mit Geschichten wie von der vierjährigen Lisa aus der dritten Etage, die glaubt, sie sei allergisch gegen Nüsse, weil diese immer so komisch auf ihrer Zunge kitzeln. Ihre Mutter sagt ihr dann, dass sie eben etwas ganz Besonderes sei. Da ist also für die Zukunft noch viel Luft nach oben. Zum achten Geburtstag der kleinen Jasmin reichten die Mütter der eingeladenen Kinder vor der Feier schriftlich ein, was ihre Kinder alles nicht vertragen oder auf keinen Fall essen dürfen. Daraufhin servierte Frau Hein für die ganze Mannschaft zuckerfreien Grießbrei mit Nieren- und Blasentee. Der Nachtisch, ein Abführmittel, damit keines der Kinder zu dick wird, ging jedoch im wahrsten Sinne des Wortes in die Hose und die kleine Jasmin musste sich neue Freunde suchen. Natürlich habe ich auch weitsichtig vorgesorgt. Wenn wieder einmal jemand mit einem verengten Speisehorizont bei mir reinschaut, für den habe ich glutenfreies Katzenfutter im Schrank. Ich esse dann ein Stück fette Torte oder Hackepeterbrötchen, genieße die neidischen Blicke und heuchle Mitleid mit dem sensiblen Esser.