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12 WGLi-Umschau | 3-2018
Die Gleise der Geschichte
Siegfried Schaller
In der Bildmitte
des Buchcovers:
Siegfried Schaller in
jungen Jahren.
Der Rangierbahnhof Seddin – einst „Drehscheibe Europas“. Der erste Schreibtisch von Siegfried Schaller. Daneben ein
(Fotos: Privat/Siegfried Schaller) Erinnerungsfoto an einen Jahresabschlussball.
Manchmal steigt Siegfried Schaller im Hauptbahnhof „Ich habe drei Gesellschaftsordnungen erlebt“, sagt
aus der S-Bahn – ohne weiterreisen zu wollen. „Dann Siegfried Schaller. Die Kindheitserlebnisse in Marieney,
spaziere ich von der obersten Ebene in die unterste Raasdorf und Oelsnitz in den 1930er Jahren markie-
und staune noch immer“, erzählt der 84-Jährige. Der ren den Beginn seiner Lebenserzählung. Der berufliche
Hauptbahnhof, das war das „letzte große Ding“ des Werdegang beginnt mit der Lehre bei der Bahn und
promovierten Ingenieurs. „Ich habe gemeinsam mit setzt sich fort mit dem Studium in Leipzig sowie der
meinen Arbeitern die eisenbahntechnische Infrastruk- Hochschule für Verkehrswesen in Dresden. Noch gut in
tur für das Innere des Bahnhofs entwickelt“, sagt der Erinnerung ist Siefgried Schaller sein Jugendschwarm
einstige Reichsbahner. Zuletzt leitete er im Auftrag des Irene – die mit einem Chemie-Dozenten in den Wes-
Bundesministeriums für Verkehr eine Abteilung mit 70 ten flüchtete – und die tragische Wiederbegegnung
Mitarbeitern. Dabei fing Siegfried Schaller ganz klein Jahre später. Unvergessen auch die beruflich prägends-
an: als Zugschaffner. Bis heute ist er Eisenbahner mit ten Jahre als Leiter des Rangierbahnhofs Seddin, der
Herz und Seele. Und Siegfried Schaller hat schon im- „Drehscheibe Europas“. Später avancierte Siegfried
mer gern geschrieben. Nie habe er Tagebuch geführt, Schaller noch einen Schritt weiter und wurde Leiter der
aber an Notizen und Schriftstücken und Fotos vieles be- Großversuchsanlage Seddin mit ihrer modernen Gleis-
wahren können. Irgendwann beschloss er, seine Erin- bremstechnik und dem Zentralstellwerk. Mit dem Mau-
nerungen schriftlich zusammenzuführen. „Dass es ein erfall kamen neue Aufgaben: Als Ingenieur arbeitete er
ganzes Buch werden würde, das hätte ich am Anfang an der Eisenbahnkonzeption Berlin mit. „Mit dem Buch
nicht gedacht“, sagt Siegfried Schaller. „Alles im Leben möchte ich den Jüngeren zeigen, wie es damals war“,
hat seinen Preis“, heißt die 481 Seiten starke Autobio- sagt er. Und stellt im Buch allen voran seine wichtigste
grafie, die 2011 im Nora-Verlag erschienen ist. Dabei Lebenserkenntnis: „Jede erlittene Niederlage erzwingt
ist das Buch nicht nur für ehemalige Reichsbahner neue Wege, die man aus nunmehr unverständlich
interessant. scheinenden Gründen nicht gegangen wäre.“